Samstag, 26. November 2011

Fankultur auf dem Prüfstand - ein Kommentar zur verhängten Strafe gegen die SG Dynamo Dresden

Das DFB-Sportgericht hat die SG Dynamo Dresden von der DFB-Pokalsaison 2012/2013 ausgeschlossen. Eine drakonische Strafe, deren Ursachen wohl zu großen Teilen in der derzeit im Großteil der Medienlandschaft vorherrschenden populistischen Berichterstattung zu finden ist. Keine Frage: Viele der Dynamo Anhänger haben über die Strenge geschlagen. Ein Stadionsturm ist genauso inakzeptabel wie Vandalismus im Stadion. Dennoch muss differenziert werden: Das Zünden von Pyrotechnik ist keinesfalls mit Gewalt und Ausschreitungen gleichzusetzen. Die vielerorts beschworene Gewaltwelle kann man sicherlich aus verschrobenen Statistiken heraus interpretieren (empfehlenswert hierzu ist zum Beispiel der Artikel „Das Ende der Eskelation“ in der aktuellen Ausgabe des 11 Freunde Magazins). Jedenfalls scheint es momentan schlicht im Trend zu sein, Fans aus der Kurve pauschalisiert und ohne jede Differenzierung zu Gewalttätern abzustempeln. Diese Welle der populistischen Berichterstattung zieht mit dem bereits angesprochenen Urteil gegen die SGD sowie dem Rückzug des Hauptsponsors des FC Hansa Rostock nun erste negative Folgen für die betroffenen Vereine nach sich. Das Thema an sich ist zu komplex, um es nun in aller gerechtfertigten Bandbreite zu kommentieren. Gerne bin ich aber bereit, mögliche Reaktionen auf diesem Blogeintrag mit einem Diskussionseinstieg zu erwidern. Jetzt im Moment möchte ich mich jedoch darauf beschränken, auf die Aussagen von DFB-Sportrichter Hans E. Lorenz (verantwortlich für das Dynamo-Urteil) einzugehen:

„Fußball ist zur Zeit eine der größten Bühnen unserer Gesellschaft. Auf dieser Bühne suchen viele einen Platz oder eine Nische, das gilt auch für gewaltbereite Menschen. Nie war die Gewalt in unseren Fußballstadien größer als in diesem Jahr“

Nie war die Gewalt größer? Wie gesagt … wenn man sich lediglich auf verfälschte Statistiken beschränkt – ja, vielleicht. Es ist allerdings weithin bekannt, dass die Hooliganphase im deutschen Fußball weitgehend beendet ist. Und, auch wenn die Ultrakultur sicherlich nicht aus Chorknaben besteht (diesen Vergleich greife ich von Cherno Jobatay aus seiner Sendung „log-in“ auf), die meisten Gesetzesverstöße von Ultras sind doch in einer anderen Kategorie einzuschätzen als Prügelorgien von Hooligans. Was nicht heißen soll, dass ich beispielsweise das Stehlen von Schals gutheißen will – hier sollte sich die Betroffenen der Ultraszene hinterfragen, ein Prozess, der momentan durchaus zu beobachten ist. Kurz gesagt: Viele momentan verwendete Superlative sind schlichtweg Unfug. Wenn dann doch wirklich einmal wieder üble Ausschreitungen und körperliche Gewalt in Fußballstadien auftauchen –
wie beim DFB-Pokalerstrundenspiel zwischen dem BFC Dynamo und Kaiserslautern – geht dies, aufgrund des ohnehin allgemein vorherrschenden Paradigmas der angeblichen Gewaltexzesse bei Fußballspielen, fast unter. An dieser Stelle ist auch zu hinterfragen,
weswegen der BFC nur 2 Geisterspiele in der Liga als Strafe aufgedrückt bekam, Dresden nun allerdings diese ungleich härtere Strafe erfährt – ein klarer Anhaltspunkt, dass Richter Lorenz sein Urteil größtenteils aus populistischen Gründen gefällt hat. Dazu beigetragen hat wohl auch der Umstand, dass die Partie gegen Dortmund live im Fernsehen übertragen wurde, während das Interesse am Spiel zwischen dem BFC und dem FCK doch eher gering ausfiel.

„Tote gab es noch nie in unseren Stadien. Wenn es so weiter geht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis es Tote gibt.“

Ein dahergesagter Satz, der seinesgleichen sucht. Zumal Herr Lorenz zu verdrängen scheint, dass es bereits Todesfälle im Umfeld deutscher Fußballspiele zu beklagen gab, wenn auch nicht im Stadion direkt: Ich nenne hier die Fälle Mike Polley oder Adrian Meleika, gehe aber an dieser Stelle nicht näher darauf ein. Wer möchte, kann sich natürlich gerne über das Netz oder andere Quellen näher informieren. Woher Herr Lorenz aber die momentane Befürchtung zieht, es könnte demnächst zu Todesfällen in deutschen Stadien kommen, entzieht sich meiner Erkenntnis. Vermutungen meinerseits wären reinste Spekulation, weswegen ich nur den Schluss ziehen kann: In dieser Form ist diese Aussage reinster Populismus auf niedrigstem Stammtischniveau.

„Nach der Tragödie von Heysel wurden alle englischen Klubs für fünf Jahre von der europäischen Bühne verbannt, der FC Liverpool musste noch zwei Spielzeiten länger büßen. Nach diesem Urteil hat der englische Fußball sein Problem in den Griff bekommen.“


Die Tragödie von Heysel, bei der 39 Menschen starben und 454 verletzt wurden, mit den Vorkommnissen von Dortmund zu vergleichen ist - wer möchte darf sich aus folgender Reihe von Adjektiven sein passendes heraussuchen – übertrieben, anmaßend, dreist, unverhältnismäßig, unangemessen oder schlicht hirnrissig. Die Ursachen von Heysel sind zwischenzeitlich gut analysiert und aufgearbeitet wurden – das nicht mehr zeitgemäße Stadion spielte seine Rolle, aber mit Sicherheit auch die damals vorherrschende Hooligan-Kultur in England. Auch wenn es viele Medienvertreter und sogenannte Sicherheitsexperten nicht einsehen wollen: Die Charakteristiken von Hooligans sind nicht 1:1 auf die heute in den Kurven dominanten Ultras übertragbar. Hier wäre es endlich einmal an der Zeit, dass Fachleute aus der Gesellschaft (wie die Verantwortlichen der Fanprojekte) und Wissenschaft (z.B. die Fanforscher Gunter A. Pilz oder Jonas Gabler) aktiver in den Diskussionsprozess einbezogen werden – medial wie intern.


Als Fazit bleibt die Erkenntnis, dass der ja von DFB und Innenministerium angeblich gesuchte Dialog mit den Fans noch weit entfernt scheint. Die Strafe gegen Dynamo Dresden ist jedenfalls nicht als Signal für gewünschte Gespräche, sondern eher als Zugeständnis an alle Populisten zu betrachten. Dass Populismus siegt, ist ja leider ohnehin in allen politisch bedeutsamen Bereichen (zu denen die „große Bühne Fußball“, wie Lorenz es nennt, ja mittlerweile unzweifelhaft auch gehört) keine Seltenheit. Es bleibt dennoch die Hoffnung, dass langfristig betrachtet (und sobald das Thema Fangewalt dem medialen Brennpunkt wieder entwichen ist) sich letztendlich doch Vernunft durchsetzt und gemeinsam an Lösungen gearbeitet wird, die allen am Fußball interessierten Seiten gerecht werden. Niemand behauptet dass dies einfach sein wird. Aber einfach hatten es seit jeher ja ohnehin nur die Populisten…

Benjamin Schaller

Donnerstag, 17. November 2011

Kommentar zum geforderten NPD-Verbot

Nachdem sich am Wochenende die rechtsextremen Terroristen Uwe M. und Uwe B. das Leben nahmen, stellte sich die Dritte im Bunde, Beate Z., freiwillig der Polizei. Die Taten der Zwickauer Terrorzelle bringen dieser Tage eine erneute öffentliche Debatte an die Oberfläche, die bereits seit mehreren Jahren verfolgt, seit 2003 aber nicht ernsthaft weiter diskutiert wurde. Es geht um ein Verbot der Rechtsradikalen Partei NPD.

Es ist ein klassischer Reflex in Deutschland, dass man nach Katastrophen immer Regulierungen und Restriktionen fordert. Nach dem Amoklauf in Winnenden hieß es damals von allen Seiten, man müsse schärfere Waffengesetze einführen und am besten alle Computerspiele, die Gewalt beinhalten, vom Markt nehmen. Als uns Fukushima erreichte, dachte man plötzlich wieder darüber nach, ob man nicht die Atomkraft abschalten solle und auf Alternativ-/Regenerative Energien umsteigen sollte. Nun folgt also die erneute Debatte, die nach rechtsextremer Gewalt angestoßen worden ist, nämlich ob man die rechtsextreme NPD-Partei verbieten kann/muss.

Um es vorweg zu nehmen, auch ich halte die NPD für eine menschenverachtende und in allem Maße verfassungswiedrige und wiederwärtige Partei. Allein schon wie sie das Thema Rassentrennung propagieren, macht mich sprachlos. Seit Uhrzeiten haben Menschen das Verlangen gehabt Strukturen und Hierarchien einzuführen. Und eine der billisten Formen ist es, dass über die Hautfarbe zu definieren, wer in einer Gesellschaft etwas Wert ist. Eine politische Partei, die sich mit dieser inhumanen Ideologie am Rande der Gesellschaft bewegt und sich nicht zuletzt durch Wahlkampfpauschalen, und damit Steuergeldern finanziert, ärgert mich maßlos.

Aber hilft ein Verbot? Ich glaube Nein.
Wenn die Rot-Grüne Regierung und der Bundestag 2003 mit ihrem Verbotsantrag der NPD damals durchgekommen wären, würden die Täter der Zwickauer Terrorzelle jetzt noch leben? Abermals, leider Nein. Denn die politische Ideologie, die braune Saat, die in den Köpfen der Täter verpflanzt war, sie ist bereits vorher aufgegangen. Braunes Gedankengut mitten unter uns, weil der Verfassungsschutz versagt hat.

Das Bundesverfassungsgericht weigerte sich 2003 dem Antrag eines NPD-Staatsverbots stattzugeben, bzw. weiter zu verfolgen aufgrund von „fehlender Staatsferne“ der Neonazipartei. Die Verfassungsrichter mutmaßten also, dass die Hetztätigkeit der NPD auch auf das Konto der V-Männer zurückzuführen sei. Wissen wir denn, ob das heute anders ist?
Über die dubiose Rolle des Verfassungsschutz müsste an dieser Stelle nochmal explizit eingegangen werden. Fest steht aber, dass wenn die Regierung sich jetzt um ein erneutes NPD-Verbot bemüht, auch mächtig auf die Nase fliegen könnte. Denn sollte das nicht gelingen, wäre das eine Katastrophe für uns und ein unglaublicher Propaganda.-Erfolg für die NPD und Wasser auf die Mühlen der kahlrasierten Köpfe. Wollen wir das wirklich?

Die Frage die sich stellt: Verschwindet mit der Partei auch jegliches Gedankengut, dass mit jener verbunden wird? Die entsprechenden Wege und Mittel werden diese Leute immer besitzen, um ein Ventil für ihre politische Ideologie zu finden. Und gerade aus historischer Sicht bedarf es keiner langen Vorrede, dass unterdrückte politische Meinungen in Deutschland schon ganz andere Wiederauferstehungen gefeiert haben. Nicht zuletzt bin ich aber auch der Meinung, dass es für die Gesundung einer Demokratie unabdinglich ist, auch unpopuläre Meinungen, ebenso wie Parteien, zu ertragen. Schließlich bietet sich hier auch die gesellschaftliche Debatte an, sich mit Themen aktiv zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Wenn wir das nicht mehr hinbekommen und nur noch über Verbote und Regulierungen reden wollen, werden wir Opfer unserer eigenen Idee einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.  

Denny Neidhardt

Donnerstag, 3. November 2011

Die Wahl vor der Wahl

Primaries – Neuer Trend in der Politlandschaft

Es waren emotionale Momente Mitte Oktober an der rue de Solférino in Paris, Sitz der Parti Socialiste (PS). Während Ségolène Royal, Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten von 2006, die Tränen kamen nach ihrer überraschend eindeutigen Niederlage (6%) im ersten Wahlgang der Vorwahlen, ließ sich François Hollande eine Woche später mit 56,6% feierlich nach dem zweiten Wahlgang als offizieller Präsidentschaftskandidat küren. Gleichzeitig war es eine Premiere: zum ersten Mal fanden Primaries (frz. primaires) nach amerikanischen Vorbild auf französischen Boden statt, die auch für Nichtmitglieder der Sozialisten zugänglich waren. Während bisher nur Italien diesen, aus demokratischer Sicht, revolutionären Schritt in Europa gewagt hat, fanden die Vorwahlen der PS in Frankreich bisher nur für Parteimitglieder statt, die in der Regel den Parteivorsitzenden als Präsidentschaftskandidaten bestimmen. Mit François Hollande gilt diese „Regel“ nun nicht mehr.

Begründet wurde das Fehlen von Vorwahlen in Europa bisher häufig mit der Existenz von Koalitionen, die als „ausreichend demokratisch“ gelten, oder zu hoher Kosten für die jeweiligen Parteien. An Beteiligung - ein weiterer Kritikpunkt - hingegen mangelt es nicht. Nahmen doch 2,7 mio. Wähler an den ersten offenen französischen primaires teil, mehr als 14-mal so viele wie noch bei den internen Vorwahlen 2006. In den USA hingegen sind solche Wahlen voll im politischen System integriert. Aktuell liefern sich 10 Kandidaten in der Republikanischen Partei ein Rennen, um 2012 gegen Barack Obama antreten zu können.

Währenddessen haben Primaries den Vorteil, dass vorher weitesgehend unbekannte Politiker zu Wort kommen können, die Minderheiten in ihren Parteien repräsentieren. So erreichte Arnaud Montebourg mit seiner Idee eine neue Verfassung in Frankreich einzuführen, bei den Vorwahlen ganze 14%. Die Parteien öffnen sich mehr der Bevölkerung indem diese eine wegweisende Entscheidung, wie der Präsidentschaftskandidatur, mittreffen kann.
Dass auch (parteiinterne) Primaries in Deutschland eingeführt werden sollen, dafür sprach sich kürzlich der SPD Vorsitzende Sigmar Gabriel aus - Und wurde sofort scharf kritisiert, er suche doch nur eine alibidemokratische Bestätigung für seine Kanzlerkandidatur 2013. Werden sie jedoch offen und frei ausgetragen, sind Primaries das Fundament für eine moderne und fortgeschrittene Demokratie.

Nino Zebiri